Jens Korndörfer bei „Sommer! Orgel“

Einen historisch, stilistisch und geographisch weit gespannten Bogen bot das zweite Konzert des Orgelzyklus "Sommer! Orgel“ der Musik am 13.: Dem diesjährigen Thema folgend, hatte der Solist des Abends, Jens Korndörfer aus Atlanta, Passacaglien von Georg Muffat und Johann Georg Rheinberger als Eckpunkte des Programms gewählt. Trotz ihres historischen Abstands von 200 Jahren konnte man an beiden Werken die Merkmale der Passacaglia gut nachvollziehen. Muffat wie Rheinberger entwickeln über einer wiederkehrenden Basssequenz im langsamen Dreiertakt durch das Hinzutreten immer neuer Stimmen und rhythmischer Bewegungen eine sich steigernde Folge von Variationen. Während Korndörfer das barocke Werk von Muffat eher sparsam registrierte und vor allem durch seine Faktur wirken ließ, schöpfte er bei Rheinberger den Farbreichtum der Orgel voll aus und ließ ein großes spätromantisches Klangbild entstehen.

Zwischen diesen beiden Passacaglien erklangen sechs Werke von sehr unterschiedlichem Charakter. Die frühbarocke Choralfantasie "Christ lag in Todesbanden" von Franz Tunder überraschte durch den virtuosen Einsatz der Manuale und eine ungewöhnliche polyphone Transparenz. Auf ganz andere Weise kamen die klanglichen Möglichkeiten der Orgel im zweiten Satz der "Sonatine pour les étoiles" des jungen Franzosen Valéry Aubertin zum Tragen, der mit dichten Akkorden, extremen Lagen und kurzen melodischen Gesten eine kontrastreiche Miniatur schuf. Es folgte "Sweet Hour of Prayer" des Amerikaners William Bolcom, ein Kirchenlied in mehreren Strophen, das durch seine verbeulte Harmonik an den frühen Charles Ives erinnerte.

Den klanglichen Höhepunkt des Konzerts bildete zweifellos "Carillion de Westminster" von Louis Vierne. Über der bekannten Melodie der Glocken des Big Ben als cantus firmus entspann sich ein gewaltiges Klanggemälde, bei dem Korndörfer nicht nur alle Register zog, sondern auch von für die Orgel eher untypischen Crescendoeffekten reichlich Gebrauch machte. Einen deutlichen Kontrast setzte "Naïades" (ebenfalls von Vierne) mit gedeckten Registern und klarer Akkordik unter einer flirrenden Diskantmelodie.

Ungefähr zeitgleich mit Viernes Kompositionen entstand "Oriental Sketch" des Amerikaners Arthur Foote, die Orgelfassung des ersten der "Five poems after Omar Khayyám" von 1923. Die schlichte Liedkomposition mit dezent orientalischer Melodik bildete den Auftakt zur abschließenden Passacaglia von Rheinberger. Es spricht für den Geschmack Korndörfers, dass er deren Klangpracht in seiner Zugabe nicht zu übertrumpfen versuchte, sondern den Abend mit einer filigranen Canzone von Girolamo Frescobaldi ausklingen ließ, die dem beziehungsreich komponierten Programm einen weiteren Aspekt hinzufügte.

Jan KoppMusik am 13 - Zeitung