Geschichte und Gegenwart der amerikanischen Orgel - Teil 2: Die Orgelmusik

ORGAN - Journal für die Orgel. 1 (2011): 6f

„For the Praise of God“

Bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein blieb die amerikanische Orgel gewissermaßen „ein Instrument ohne Repertoire“. Das lag zum einen gewiss daran, dass die damaligen Organisten ohnehin sehr viel improvisierten, zum anderen allerdings ebenso an den in vielen (puritanischen) Gemeinden anzutreffenden Vorbehalten gegenüber künstlerischer instrumentaler Musik überhaupt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden zwar immer mehr Kirchenorgeln auf dem nordamerikanischen Kontinent errichtet, doch blieb der musikalische Gebrauch dieser neu erworbenen kostspieligen „Statussymbole“ sehr häufig auf die reine Begleitfunktion des Gemeindegesangs bzw. der Kirchenchöre beschränkt. Noch 1905, anlässlich einer Orgelweihe in Hamilton in Ontario, Kanada, erklärte der anglikanische Ortsbischof Du- Moulin, dass die Orgel in der Kirche „einzig zur Ehre Gottes und nicht für Konzerte oder zur Unterhaltung verwendet werden [dürfe]“. DuMoulin hätte vermutlich auch ohne Zaudern das Ansinnen des Musical Magazine unterstützt, das in seiner Juli-Ausgabe des Jahres 1835 an die Organisten des Landes die Forderung herantrug, ausschließlich schlichte Harmonien und einfache Figurationen zu verwenden, die „nicht die gesteigerte Aufmerksamkeit des Zuhörers erregen sollten, sondern diesen in einen ruhigen Zustand gesammelter Meditation versetzen“. Allerdings war das Musical Magazine ernsthaft darum besorgt, dass die Orgel u. U. auch wieder aus der Kirche verbannt werden könnte, während der Bischof befürchtete, dass geistliche Konzerte sowie professionelles Singen und Orgelspielen die Massen weitaus mehr begeistern könnten als die oft langatmigen Predigten der Geistlichen, die oft nicht gerade die beste Werbung für die biblische Botschaft darstellten – die Befürchtungen beider Seiten waren auf je ihre Art und Weise vermutlich nicht unbegründet.

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